Wirtschaftsspiegel Thüringen - Ausgabe 6/2015 - page 45

Thüringen
45
Foto: TMWDDG
nutzen, um unter anderem durch die
Unterstützung der Sanierung des Bau-
haus-Welterbes in Weimar an die Ur-
sprünge des Bauhauses zu erinnern, zu-
gleich aber auch um das ungebrochene
Innovationspotenzial Thüringens deut-
lich zu machen.“
Dass das Bauhaus Öffentlichkeit
braucht, unterstreicht Thüringens Lan-
deskonservator Holger Reinhardt: „Mit
Ausnahme des vom Bauhaus errichteten
Versuchshauses Am Horn 61 in Weimar
und vielleicht noch zweier vom Archi-
tekturbüro Walther Gropius errichteten
privaten Wohngebäude in Jena (Haus
Auerbach, Haus Zuckerkandel) hat das
Bauhaus keinen nennenswerten Be-
wusstseinsgrad in der Thüringer Öffent-
lichkeit erreicht. Dabei finden sich auch
hierzulande etliche Bauwerke, die den
verschiedenen Strömungen der Moder-
ne in der ersten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts zuzuordnen sind. Während das
Werk des Geraer Architekten und Van de
Velde-Schülers Thilo Schoder zumin-
dest wissenschaftlich ausgewertet wur-
de, sind seine bemerkenswerten Bauten
in Gera und Ruhla ebenso wenig be-
kannt wie die Innenraumgestaltung des
Hauses des Volkes und das zugehörige
Garagengebäude des Bauhausmeisters
Alfred Arndt in Probstzella.“ Gerade
nach Probstzella, das zu Zeiten der
deutschen Teilung im Sperrgebiet lag,
lohnt sich eine Fahrt mit dem Ziel,
Bauhaus-Spuren zu finden.
Die Mitarbeiter des Hauses, das im
Herbst 2015 das Jubiläum 10 Jahre
Bauhaushotel feierte, nennen sie schon
immer „die Gropius-Klinke“. Dass Ati
Gropius Johansen, die über 80-jährige
Tochter des Bauhausdirektors Walter
Gropius, vor einigen Jahren diese Klinke
in die Hand nahm, musste Dieter Nagel,
einer der Eigentümer des dominanten
Bauwerkes, natürlich fotografieren. Gut
möglich wäre allerdings auch gewesen,
die inzwischen leider verstorbene Frau
Gropius hätte statt eines weitgehend
sanierten „Haus des Volkes“ nur noch
Erinnerungsfotos von Thüringens größ-
tem Bauhausdenkmal sehen können.
War doch mit dem Fall der Mauer die
Zukunft des „Haus des Volkes“ lange
Zeit ungewiss - Rückübertragungsan-
sprüche und Treuhand mögen als Stich-
sen wald- und wiesenreiche Umgebung
hat) Farbentwürfe Arndts vorlagen,
nutzte man bei der jüngsten Sanierung
als „Vorlage“ auch analoge Arbeiten von
Arndt.
Das mit seiner roten Fassade weithin
sichtbare „Haus des Volkes“ mit Pavil-
lon, Terrasse, Park, Musikmuschel, Kiosk
und Garagen spiegelt als Ensemble und
im Detail den Geist des Bauhauses in
der Architektur, der Farbgestaltung und
der Innenarchitektur wider.
Noch weniger bekannt als der Komplex
in Probstzella ist der in Formen der
neuen Sachlichkeit vom Architekten
Martin Schwarz im Jahr 1929 errichtete
Milchhof in der Arnstädter Quensel-
straße. Auch dieser Bau folgt dem ent-
scheidenden Grundsatz der Moderne,
nach dem die Funktionalität die Form
bestimmt. Spätestens seit 1990 nicht
mehr als milchverarbeitender Betrieb
genutzt, hatten seine wechselnden
Eigentümer in den vergangenen 25
Jahren kein Nutzungsinteresse an die-
sem Industriebau. Vandalismusschäden,
zunehmender Verfall und fehlendes
Bewusstsein vor Ort ließen befürchten,
dass das Schicksal dieses nahezu unbe-
kannten, aber hervorstechenden Baus
der 1920er Jahre in wenigen Jahren be-
siegelt sein würde. Dank einer privaten
örtlichen Initiative um den Arnstädter
Kulturmanager Jan Kobel ist der Milch-
hof Arnstadt nun jedoch in das öffentli-
che Bewusstsein gelangt, sieht der
Rettung und vielleicht auch einer mög-
lichen neuen Nutzung entgegen.
Minister Tiefensee hat viele Botschaf-
ten in die Welt zu tragen…
Autor: Heinz Stade
worte genügen. Die entscheidende Wende vollzog
sich 2003, als der gebürtige Probstzellaer Dieter Nagel
mit weiteren Mitstreitern den zur Versteigerung aus-
geschriebenen Komplex erwarb, um es als Hotel,
Restaurant, Ausstellungshalle und Spielstätte für
mehrere Genres der Musen zu betreiben.
Natürlich haben fast 15 Jahre Leerstand Spuren hin-
terlassen. Alles in allem
aber war die Bausubstanz
nicht so schadhaft, dass
man das Wort Abriss auch
nur hätte denken müssen.
Und doch wurde es ge-
dacht, da man in der
Gemeinde keine wirt-
schaftliche Nutzung des
mit einem Saal für 1000
(!) Gäste gebauten Hauses
sah – Geschichte dies,
Gott sei Dank.
Das große „Haus des
Volkes“ ist in dem kleinen Ort und auch darüber hi-
naus wieder eine gute Adresse. Dass Probstzella über-
haupt dieses „Kulturhaus“ bekam, ist dem aus Saalfeld
stammenden Unternehmer Franz Itting (1875-1967)
zu danken. Der im Stromenergiebereich außerordent-
lich verdienstvolle Mann erfüllte sich in Probstzella
seinen Traum von einem sozialdemokratischen
Musterunternehmen, in welchem den Arbeitern „sinn-
volles Tun, gerechter Lohn und ein erfreulicher
Feierabend“ ermöglicht werden soll. Dazu gehörte
auch der Baus eines „Haus des Volkes“. Am 1. Mai
1927 wurde es eingeweiht. Außer dem Hotel- und
Gaststättenbetrieb bot es den Besuchern einen
Tanzsaal, Kino, Kegelbahn (heute Bowling), eine
Turnhalle und Heilbäder. Den Entwurf – ein schloss-
ähnlicher Bau – lieferte ein Architekt aus Saalfeld.
Während dieser schon realisiert wurde, zeigte Itting
die Pläne zwei seiner Kinder, die am Bauhaus Dessau
studierten. Auch der damalige Lehrling und spätere
Lehrer am Bauhaus Alfred Arndt warf einen Blick
drauf. „Das müsste man ja alles abkloppen!“, soll er
mit Blick auf das Zuckerbäckerische an dem Entwurf
gerufen haben. Der Bauherr, bestrebt ein modernes
„Haus des Volkes“ auch in moderner Hülle zu sehen,
fand den Saalfelder Architekten ab und setzte Arndt
ein. Was durch den bereits vorhandenen Rohbau au-
ßen nur bedingt möglich war, ließ die Ausgestaltung
im Inneren rundum zu: Textilien, Lampen, Beschläge,
Möbel usw. wurden als Prototypen von Bauhäuslern
gefertigt und in den Werkstätten des Unternehmers
Itting vervielfältigt. Die Farbgebung des Ganzen ent-
schied Arndt vor Ort weitgehend ohne schriftliche
Konzepte. Da lediglich für den Kaffee-Pavillon (von
dem man eine herrliche Sicht auf Probstzella und des-
Bauhaus ist
Impulsgeber für
Wirtschaft und
Gesellschaft.
Wolfgang Tiefensee,
Thüringens Wirtschaftsminister
und Bauhausbotschafter
1...,35,36,37,38,39,40,41,42,43,44 46,47,48,49,50,51,52
Powered by FlippingBook