Wirtschaftsspiegel Thüringen - Ausgabe 6/2015 - page 35

Energiewende in Thüringen
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Vor dem Hintergrund der Energiewende
und global ambitionierter Klimaziele
liegt ein besonderer Fokus auf der
Entwicklung neuer und der Verbes-
serung bestehender Energietechno-
logien. Diese sollen helfen, Ziele wie
die Zwei-Grad-Vereinbarung oder einen
Anteil von 80 Prozent erneuerbarer
Energien am deutschen Bruttostrom-
verbrauch bis zum Jahr 2050 zu errei-
chen. In den letzten Jahren wurden
zahlreiche politische Maßnahmen ein-
geleitet, um diese ehrgeizigen energie-
und klimapolitischen Ziele zu bewälti-
gen. Dazu zählen nachfragefördernde
Instrumente wie das Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz (EEG), eine Technologie-
förderung wie im Rahmen von Energie-
forschungsprogrammen sowie syste-
mische Maßnahmen wie Verbundfor-
schungsprojekte, die unterschiedliche
Akteure vernetzen und den Wissens-
austausch fördern sollen.
Mit Blick auf das Zusammenspiel der
unterschiedlichen politischen Maßnah-
men hat das Fraunhofer ISI gemeinsam
mit der Friedrich-Schiller-Universität
Jena sowie der GWS Osnabrück im Pro-
jekt GRETCHEN die Innovationswirkun-
gen des Policy Mixes für erneuerbare
Energietechnologien in Deutschland
untersucht. Die Analysen bezogen dabei
sowohl die Unternehmensperspektive
als auch die Industriestruktur, das deut-
sche Innovationssystem sowie gesamt-
wirtschaftliche Effekte und CO2-Emis-
sionen mit ein. Auf Basis des im
GRETCHEN-Projekt entwickelten Policy
Mix-Ansatzes lässt sich das zur Um-
wandlung des Energiesystems erforder-
liche politische Maßnahmenbündel
ganzheitlich erfassen und hinsichtlich
seiner Innovationswirkung untersuchen.
Abschwächung der Dynamik
im Photovoltaik-Bereich
Die Ergebnisse des GRETCHEN-Projekts
zeigen, dass in den letzten Jahrzehnten
in Deutschland bei den erneuerbaren
Stromerzeugungstechnologien ein ra-
santer technologischer Fortschritt statt-
gefunden hat. Darauf deutet der starke
Anstieg bei wissenschaftlichen Photo-
voltaik-Publikationen oder die Zunah-
me von Patentanmeldungen in den Be-
reichen Windkraft und Photovoltaik hin.
Prof. Dr. Uwe Cantner von der Friedrich-
Schiller-Universität Jena unterstreicht
zudem: „Die Intensivierung des Wis-
sensaustausches unter verschiedenen
Akteuren des Innovationssystems sowie
stark gesunkene Technologiekosten
sind weitere Indizien für die positiven
Innovationswirkungen des Policy Mi-
xes“. Hierdurch konnten deutsche Her-
steller erneuerbarer Energietechnolo-
gien neue Exportmärkte erschließen,
was der gesamtwirtschaftlichen Ent-
wicklung und Beschäftigung zugute-
kam. Allerdings deutet sich in Deutsch-
land aktuell und besonders im
Photovoltaik-Bereich eine Abschwä-
chung der Dynamik an.
Die Analysen des Projektteams verdeut-
lichen, dass technologiefördernde, sys-
temische und nachfragefördernde Ins-
trumente jeweils einen deutlichen
Einfluss auf den grünen Wandel bei den
betrachteten Technologien haben. Die
Untersuchung des Policy Mixes weist
zudem nach, dass sich die verschiede-
nen Instrumente gegenseitig in ihrer
positiven Innovationswirkung verstär-
ken. Die GRETCHEN-Analysen deuten
auf eine zentrale Rolle nachfrageför-
dernder Maßnahmen im Instrumenten-
mix hin. In Abhängigkeit der technolo-
giespezifischen Lernpotenziale können
die resultierenden positiven Innova-
tionswirkungen einen sich selbst ver-
stärkenden Prozess aus Kostensenkung
und Ausbau von erneuerbaren Energien
in Gang setzen, der die momentanen
Pfadabhängigkeiten im Energiesystem
zu überwinden hilft. Dr. Karoline Rogge,
die am Fraunhofer ISI das Projekt GRET-
CHEN koordinierte, hebt darüber hinaus
die hohe Bedeutung der Glaubwürdig-
keit der politischen Förderung als Inno-
vationstreiber für grüne Stromerzeu-
gungstechnologien hervor: „Unsere
GRETCHEN-Befragung der in Deutsch-
land ansässigen Technologiehersteller
zeigt, dass die Glaubwürdigkeit des
Policy Mixes eine entscheidende Rolle
für die Innovationsausgaben der Unter-
nehmen spielt."
Empfehlungen der
Wissenschaftler
Die am Projekt beteiligten Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler
empfehlen, politische Instrumente zum
Umbau des Energiesystems immer auf-
einander abzustimmen und sie in ihrer
Gesamtheit zu betrachten. Der dabei
entstehende Policy Mix sollte glaub-
würdig und in sich möglichst konsistent
sein – andernfalls kann dies zu Un-
sicherheit im Hinblick auf die künftige
Marktentwicklung führen, was Inves-
titionen behindert und die langfristige
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in
diesen grünen Technologien gefährdet.
Zur frühzeitigen Erkennung derartiger
Entwicklungen kann ein Monitoring des
deutschen Innovationsklimas für die
Energiewende Abhilfe leisten und wich-
tige Hinweise geben. Dr. Christian Lutz
von der GWS Osnabrück hat weitere
Empfehlungen für die Politik, die aus
den Ergebnissen des GRETCHEN-
Projekts abgeleitet wurden: „Zum einen
gilt es, im supranationalen Kontext die
klima- und energiepolitischen Maßnah-
men noch besser abzustimmen. Ande-
rerseits sollte die politische Diskussion
zur Energiewende in Deutschland stär-
ker die daraus resultierenden Vorteile
wie Exportchancen, die Schaffung von
Arbeitsplätzen oder die Stärkung des in-
ternationalen Klimaschutzes betonen.“
Die Energie- und Innovationsexpertin-
nen und -experten der drei For-
schungseinrichtungen empfehlen zu-
dem, dass sich künftige Unter-
suchungen mit der Frage nach den
Wirkungen des Policy Mixes auf den
technologischen und strukturellen
Wandel befassen sollten. Die hierdurch
entstehende, größere Datenbasis ließe
sich auch durch die Einbeziehung wei-
terer Länder und Technologiesektoren
ausweiten, wofür spezifische quantita-
tive und qualitative Forschungs-
methoden weiterentwickelt und kombi-
niert werden müssen. Dabei gilt es auch
zu klären, inwiefern die politischen
Instrumente auf andere Länder über-
tragbar sind. (em/tl)
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